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Haus der Alfterer Geschichte
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Nie wieder ist jetzt (März 2024)

Der Verlag Rautenberg Media („Schaufenster“, „Wir in Alfter“) hatte aufgerufen, Beiträge über die lokale Geschichte während des 2. Weltkrieges zu erzählen. Der Förderverein Haus der Alfterer Geschichte hat sich daran beteiligt und jeweils einen Beitrag über das Leben jüdischer Bürger im Ort Alfter und über das „Ausländerkinder-Pflegeheim“ geliefert. Die Beiträge wurden in „Wir in Alfter“, 19. Jahrgang, Nr.7 vom 30. März 2024 abgedruckt und sind nachstehend zu lesen. Verfasser waren Heinrich Nahr und Dr. Bärbel Steinkemper.

 

Wider das Vergessen – Nie wieder ist jetzt

Zwangsarbeit und „Auslanderkinder-Pflegestätte“ in Alfter

 

Peter, Marija und Viktor sind die Namen neugeborener Kinder  von Zwangsarbeiterinnen, die im November 1944 in der so genannten „Ausländerkinder Pflegestätte“ in Alfter unter unmenschlichen Bedingungen untergebracht waren und vor Erreichen des ersten Lebensjahres verstorben sind. Dabei handelt es sich um drei von 19 nachgewiesenen Todesfällen von Säuglingen, die seit Mai 1944 in die Einrichtung gebracht worden waren. Unter den Nazis war es üblich, dass Säuglinge von vornehmlich osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen kurze Zeit nach der Geburt den Müttern weggenommen und in Einrichtungen mit dem beschönigenden Namen  „Ausländerkinder Pflegestätten“  eingewiesen wurden. Für Alfter ist die Existenz einer solchen Einrichtung seit Mai 1944 belegt.

Eines der dunkelsten und traurigsten Kapitel der deutschen Geschichte in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft ist der Einsatz von Millionen von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern im Deutschen Reich und in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten in der Zeit zwischen 1939 und 1945. Während des Zweiten Weltkrieges wurden Männer, Frauen und Kinder auch nach Alfter verschleppt und zur Arbeit gezwungen - hauptsächlich in der Landwirtschaft aber auch in Industriebetriebe in Witterschlick und Oedekoven. Lange Zeit nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist das  Thema Zwangsarbeit auch in Alfter verdrängt worden und wäre wohl in gänzlich in Vergessenheit geraten, wenn nicht im Jahr 2019 eher zufällig eine Ausländermeldekartei aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges mit insgesamt 863 Karteikarten aus dem Stadtarchiv Bonn an das Gemeindearchiv Alfter abgegeben worden wäre. Der damalige Gemeindearchivar hat die Materialien gesichtet und aufbereitet und so der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Unterlagen stammen aus dem ehemaligen Amt Duisdorf, zu dem bis zur kommunalen Neuordnung im Jahr 1969 auch die Dörfer aus dem heutigen Gemeindegebiet von Alter gehörten.

Aufgrund dieser Quellenlage konnte nachgewiesen werden, dass in Alfter und den umliegenden Dörfern insgesamt 590 zwangsverschleppte Arbeitskräfte im Einsatz waren, davon  waren 406 Männer und 182 Frauen. Die allermeisten stammten aus Polen, aus der Ukraine und aus den  anderen westlichen Gebieten der damaligen Sowjetunion. Sie stellten die Gruppe der  besonders stark diskriminierten Menschen dar, die laut nationalsozialistischer Einstufung als Polen und Ostarbeiter galten.

Eine besondere Problematik in den Augen der nationalsozialistischen Machthaber stellten schwangere Zwangsarbeiterinnen vornehmlich aus der Gruppe der Ostarbeiterinnen dar. Diese waren dem NS-Staat sowohl aus ökonomischer als auch aus rassenideologischer Sicht ein Dorn in Auge. Trotz aller Anstrengungen war es den Nazis nicht möglich, Schwangerschaften von Zwangsarbeiterinnen zu unterbinden. Zum Teil waren die Frauen bei der Verschleppung aus ihren Heimatorten bereits schwanger, aber auch die Trennung der Arbeitseinsätze nach Geschlechtern und Besuchsverbote für Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter konnten nicht verhindern, dass sich Männer und Frauen näher kamen. Auch Vergewaltigungen durch deutscher Vorarbeiter und Lagerführer in Ausnutzung ihrer Machtposition sind mehrfach nachgewiesen.

Anfangs wurden schwangere Zwangsarbeiterinnen noch in ihre Heimatländer zurückgeschickt; wegen der wachsenden Bedeutung der Arbeitskraft der Ostarbeiterinnen für die deutsche Kriegswirtschaft wurden die Abschiebungen ab Dezember 1942 gestoppt und stattdessen Entbindungs- und Kinderanstalten eingerichtet. Gleichzeitig wurden den betroffenen Frauen  Schwangerschaftsabbruch nahegelegt, teils wurden sie zur Abtreibung gedrängt oder gezwungen. Ab Mitte 1943 wurden die „schlechtrassigen“ Kinder von Ostarbeiterinnen unmittelbar nach der Geburt von Ihren Müttern getrennt und in separaten Heimen untergebracht. Die Heime bekamen die hochtrabende Bezeichnung „Ausländerkinder Pflegestätten“. Im gesamten Reichsgebiet entstanden ca. 500 solcher Einrichtungen. Die Säuglingssterblichkeit lag durchschnittlich bei über 50 %, in Einzelfällen sind bis zu 90% bezeugt.

Nachgewiesen ist die Lage der „Ausländerkinder Pflegestätte“ in Alfter im Landgrabenweg neben dem Wohnhaus des damaligen Ortsbauernführers, Träger der Einrichtung war die Kreisbauernschaft Bonn. Es existieren mehrere Schreiben des staatlichen Gesundheitsamtes im Landkreises Bonn an die Kreisbauernschaft, die über die Zustände in der Alfterer Einrichtung berichten. So wird in einem Schreiben vom 09.11.1944 erwähnt, dass eine Gewichtsprüfung der 18 dort untergebrachten Kinder durch einen Amtsarzt ergab, dass sich alle bis auf drei Kinder in einem „mehr oder weniger schwerkranken Zustand“ befanden, das heißt unterernährt waren. Angesichts der Zustände sah sich der Amtsarzt genötigt, den Verantwortlichen die katastrophale Bilanz der Einrichtung vor Augen zu führen: Von 32 Kindern, die seit Mai 1944 in die Pflegestätte eingewiesen worden waren, sind 11 „zugrunde gegangen“. Weitere 11 Kinder mussten in Krankenanstalten überwiesen werden, wo 6 von ihnen starben. Neben der Unterernährung trugen zu dieser Entwicklung die katastrophalen hygienischen Zustände bei. Es fehlte an Kleidung, Windeln, Bettwäsche und Handtüchern. Nicht einmal genug Stroh für die Betten gab es. Einer der aufgestellten Öfen, war falsch installiert und verbreitete Rauchgase im Obergeschoss der zweistöckigen Baracke.

Aufgrund der vorgefundenen Unterlagen zur „Ausländerkinder Pflegestätte“ hat der Gemeindearchivar weitere Quellen recherchiert und konnte 14 Säuglinge, die zwischen Mai 1944 und März 1945 aufgrund den katastrophalen Bedingungen in der Alfterer Einrichtung ums Leben gekommen waren, namentlich identifizieren. Fünf weitere Opfer konnten nicht namentlich ermittelt werden. Es ist somit davon auszugehen, dass mindestens 19 Säuglinge, die in die Alfterer „Ausländerkinder-Pflegestätte“ verlegt worden waren, vor Erreichen des ersten Lebensjahres gestorben sind.

Um die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten und mahnend darauf hinzuweisen, dass sich solche Verbrechen nie mehr wiederholen dürfen, hat sich eine Arbeitskreis gebildet, der sich um die weitere Aufarbeitung der Geschehnisse kümmert. Um an prominenter Stelle an das Unrecht zu erinnern, hat der Arbeistkreis entschieden, vor dem Alfterer Rathaus eine Infostele mit den Namen der verstorbenen Säuglinge aufzustellen. Die Stele wird im Frühjahr 2024 um einen Gedenkstein ergänzt werden, für den im Rahmen einer Crowdfunding-Kampagne über 5.000 Euro an Spenden eingegangen sind.  Der Arbeitskreis wird von Thomas Klaus geleitet und ist inzwischen organisatorisch dem Haus der Alfterer Geschichte beigetreten. Auf der Internetseite www.zwansgarbeit-in-alfter.de  sind detailliertere und Informationen zum aktuellen Stand abrufbar.

 

Ausgegrenzt und ausgelöscht im Nazi-Deutschland

Jüdische Familien in Alfter

 

„Nehmt Ihr es, wir können damit doch nichts mehr anfangen“, das waren die letzten bekannte Worte von Therese Cossmann, mit denen sie am Abend vor ihrer Deportation ihren Nachbarn in der Knipsgasse, der Familie Falkenbach, eine Kaffeekanne mit Zuckerdose und Milchkännchen aus Zinn überreichte. Auch nach all diesen Jahren waren die Falkenbachs sichtlich bewegt, als sie im Rahmen einer Ausstellung des Hauses der Alfterer Geschichte (2014) von diesem Abschied, aber auch von der schwierigen Zeit Ende der 30er/Anfang der 40er Jahre berichteten. Sie übergaben diese letzte greifbare Erinnerung an uns zur Mahnung an künftige Generationen, damit sich diese Geschichte nie wiederholen möge.

Die Cossmanns waren eine von sechs jüdischen Familien, die von den Nationalsozialisten aufgrund ihrer Rassenideologie ermordet wurden. Sie waren angesehene Bürgerinnen und Bürger, waren Metzger, Putzmacherinnen, Hausgehilfinnen. Sie waren ehrenamtlich in den örtlichen Vereinen engagiert, halfen, wenn Not am Mann war. Sie verstanden sich mit ihren Nachbarn, hatten Freunde, kurz: sie unterschieden sich durch nichts von ihren Nachbarn, außer, dass sie Juden waren.

 

Kanonier Sander umrahmt von der Schrift „Stolz kann ich sagen / dies Zeichen durft ich tragen“

Und von jetzt auf gleich wurden sie gemieden und ausgegrenzt, ihre Geschäfte wurde boykottiert, bis sie schließlich vertrieben und „ausgemerzt“ wurden, weil eine Parteiideologie es so wollte. Nur wenigen gelang es, rechtzeitig zu entkommen, so wie Moritz Sander. Noch im 1. Weltkrieg wurde er als Soldat ausgezeichnet. Das Bild seiner Dienstzeit wurde erst sehr viel später bei Renovierungsarbeiten im Haus eines Freundes gefunden, der es dann dem Haus der Alfterer Geschichte übergab. Mit Hilfe eines Alfterer Bürgers, Barthel Henseler, konnte er zusammen mit seiner Familie 1936 in die Vereinigten Staaten entkommen.

Hugo Israel gelang1936 die Ausreise nach Südafrika.

Adele Israel, die nach Theresienstadt deportiert wurde, deren Mann es aber im März 1945 gelang, sie gegen einen deutschen Flieger auszutauschen. Sie ging nach New York.

Gerda und Walter Sander wanderten 1937 nach England aus. Den Kindern gelang es nicht mehr, ihre Mutter und ihre Schwester Elsa nachzuholen. Im letzten Moment wurde ihnen die Ausreise verweigert, sie starben im KZ Theresienstadt.

Es waren nur wenige Bürgerinnen und Bürger, die sich dem Irrsinn widersetzten und im Rahmen ihrer Möglichkeiten halfen. So wie z.B. Margaret Jüngling in der Holzgasse, eine der letzten Zeitzeuginnen, die sich dem Druck widersetzte. Sie versorgte ihre Nachbarn mit Lebensmitteln, als diese in den Läden nicht mehr bedient wurden. „Unsere Gärten stießen ja aneinander, wir besuchten uns sowieso immer über den Garten“, wiegelte sie im Gespräch mit uns ab. Dieser Gartenzugang war auch die Rettung für die Familie Sander, als 1938 ihre Wohnung und ihr Geschäft von braunen Stoßtrupps zerstört wurden und sie sich – glücklicherweise nur leicht verletzt – ins Nachbarhaus retten konnten.  

Die meisten der Alfterer Bürgerinnen und Bürger aber schauten weg, hatten wohl auch Angst vor Denunziation und Repressalien. Aber nicht wenige griffen auch blind die Parolen auf, hatten schnell die „Schuldigen“ für alle Probleme und Unbilden der Zeit gefunden, denunzierten leichtfertig auch ihre Freunde, verschlossen die Augen vor Terror, Gewalt, Unmenschlichkeit und unermesslichem Leid – solange es sie nicht persönlich betraf.

Beispsiel für die Stolpersteine

Es dauerte bis 1981, um diese Schicksale dem Vergessen zu entreißen. Damals machte sich die Klasse 7b der Hauptschule Alfter unter Leitung ihrer Lehrerin Roswitha Weber daran, das Leben der jüdischen Familien zu rekonstruieren und wieder lebendig werden zu lassen. Aber auch über diese Aktion senkte sich zunächst der Vorhang des Vergessens, bis 2008, initiiert durch einen Bürgerantrag, die „Stolpersteine“ vor den ehemaligen Wohnhäusern der jüdischen Familien verlegt wurden. Zu dieser Aktion lud die Gemeinde Alfter auch die überlebenden Familienangehörigen ein. Die Enkelkinder von Leopold und Rosalie Sander – Leslie und Beverly Artman und Richard und Sandra Sander - nutzten diese Möglichkeit, um die Heimat ihrer Eltern zu besuchen, die sie nur aus Erzählungen und über den losen Briefkontakt mit Margarete Jüngling kannten. Das Zusammentreffen mit den Menschen, die ihren Eltern damals zur Seite standen und die gemeinsamen Erinnerungen waren ergreifend. Der Kontakt zu Leslie Artman besteht immer noch.

Roswitha Weber († 2023) hat sich bis zuletzt gegen das Vergessen engagiert. Leider konnte sie ihre letzte geplante Veranstaltung „Auf den Spuren jüdischen Lebens“ – wo begegnen uns solche Spuren in Alfter? aufgrund ihrer fortschreitenden Krankheit nicht mehr durchführen.

 

Der Förderverein Haus der Alfterer Geschichte hat die Dokumente dieser Aktionen übernommen und archiviert. 2014 wurde daraus eine große Ausstellung über das Leben und die Vernichtung der jüdischen Familien in Alfter. Wir haben versucht, unpersönliche Zahlen und Daten mit Leben zu füllen, um die Einzelschicksale greifbar zu machen, weil nur so das Grauen dieser Zeit nachzuempfinden ist.  

 

Damit solche Gräueltaten nie wieder passieren.

 

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